Eigentlich wollte ich ja einen ganz überlegten, nüchternen Beitrag schreiben. Der muss jetzt allerdings noch etwas warten. Das Bashing der Ungeimpften nervt mich doch gehörig. V.a. die folgenden beiden, stumpfen Gleichungen stören mich:
„Geimpft = guter, solidarischer Mensch“
„Ungeimpfter = schlechter, unsolidarischer Mensch“
Diese beiden eher einfältigen Gleichungen bedienen unser schlichtes Verständnis von „Eigenverantwortung“: „Da lass ich mir mal schnell eine Spritze setzen und ich bin raus aus der Nummer“. Um alles Andere muss ich mich dann nicht mehr kümmern. Und die Politik tut nun wirklich alles, um diesem Denken Vorschub zu leisten, weil sie die simple Gleichung „Impfung = Lösung aller Probleme“ gerne glauben will, bzw. uns glauben machen will, dass es so ist.
An einem Punkt bin ich mit allen, die jetzt nach Solidarität rufen völlig einer Meinung: Ich finde eine Diskussion zu unserem Solidaritätsverständnis mehr als überfällig. Allerdings nicht erst seit Corona, sondern seit ca. 10 Jahren, oder noch länger. Daher muss ich leider schon sagen: Eine Solidaritätsdebatte beschränkt auf Corona, oder noch schlimmer, nur auf die Impfbereitschaft brauche ich nicht. Die finde ich – vorsichtig gesagt – scheinheilig! Die Selbsbedienungs- und Vollkasko-Mentalität ist insgesamt längst aus dem Ruder gelaufen. Man muss schon aus den Sozialsystemen mehr herausholen als reinzahlen. Sonst gilt man schnell als dumm oder naiv.
Aber zurück zu Corona: Wenn es wirklich darum geht, diese Pandemie zu beenden, finde ich es geradezu fahrlässig, sich nur auf einen Weg zu versteifen und nicht alle Möglichkeiten auszuschöpfen, die sich einem bieten. Einen Weg, bei dem ja immer mal wieder Fragezeichen aufkommen. Stichwort Impfdurchbrüche und die immer kürzer werdende Wirkdauer der Impfstoffe. Da machen es die Protagonisten aus der Politik und Wissenschaft den Querdenkern für mein Gefühl auch etwas sehr einfach mit ihrem fahrlässigen Daten- und Kommunikationsmanagement. Und längst ist nicht klar, ob das wirklich die letzten Fragezeichen im Zusammenhang mit den Impfungen sind. Und Achtung: Ich bin kein Impfgegner! Wer das für sich als den richtigen Weg ansieht, soll sich unbedingt impfen lassen. Aber vielleicht sollten wir auch – nur ganz kurz – die Möglichkeit zulassen, dass das eben nicht der einzige Weg ist. V.a. kann es auf Dauer kein Weg sein. Oder wollen wir im 6 Monats-Takt die komplette Bevölkerung durchimpfen?
Meine Wahrnehmung
Es gibt ausreichend Leute, die ihre Gesundheit (und das sie stützende System) über Jahre und Jahrzehnte mit Füßen treten. Es kann heute wirklich keiner mehr behaupten, er hätte nicht gewusst, dass schlechte Ernährung, wundliegen vor der Glotze, Zigaretten, Alkohol etc. ungesund sind. Da wird viel Zeit und Geld investiert, um die Lebenszeit deutlich zu reduzieren. Und wenn es dann endlich soweit ist, dass diese Leute die Früchte ihrer Anstrengungen einfahren könnten, halten wir sie auch noch davon ab. Bei vielen Krankheitsbildern kann man nur zu dem Schluß kommen: Da hat aber einer seinen Spaß im Leben gehabt und nichts ausgelassen. Man muss sich eigentlich nicht wundern, wenn dann im Falle von Corona ein Körper, der sich schon unter normalen Bedingungen nur noch mehr schlecht als recht am Leben erhält, ziemlich schnell kollabiert. Da sind dann auch einige dabei, die unabhängig von Corona Intensivbetten belegen, obwohl das mit einiger Eigenverantwortung – und mit solidarischem Blick auf die Kosten für die Gesellschaft – nicht nötig gewesen wäre. Lt. DIVI-Register des RKI waren Stand 18.11.2021, 22:05 Uhr gut 73% aller Intensivbetten belegt – mit Leuten ohne Corona (Gesamtzahl Intensivbetten: 22.240, belgte Intensivbetten: 19.804, Corona-Patienten: 3.413). Ich glaube, es ist keine allzu steile These zu behaupten, dass wir – ganz unabhängig von Corona – ein Gesundheitsproblem haben. Und ich gehe jetzt einfach davon aus, dass es sich bei diesen Patienten nicht ausschließlich um Unfallopfer handelt, sondern schon einige dabei sind, die nicht unbedingt dort sein müssten. Das Problem interessiert aber aus irgendeinem Grund keinen Menschen. Man könnte sagen: Wir haben mehrere Pandemien gleichzeitig – und Corona ist bei weitem nicht die Tödlichste!
Meine Fragezeichen
- Warum um Himmels willen, hat man zu einer Zeit, für die die Wissenschaftler und Spezialisten – auf die doch alle hören sollen – prognostiziert haben, dass die Zahlen wieder ansteigen werden, Alles – aber wirklich ALLES – getan, um den Eindruck zu erwecken: „Die Pandemie ist vorbei“. Es wurde die epidemische Lage von nationaler Tragweite für beendet erklärt, Impf- und Testzentren geschlossen, um es den Impfwilligen maximal schwer zu machen. Obendrein hat man damit auch noch die Herrschaft über die Daten abgegeben, die auch so schon schlecht genug waren. Und es wurde natürlich alles geöffnet: Fußballstadien, große Veranstaltungen jeder Art – und natürlich der Karneval. Da muss man ja schon beinahe Mutwilligkeit unterstellen. Wenn ich das versuche meiner 5-jährigen Tochter zu erklären, wundert die sich, was die „Wachsenen“ da so treiben. Ich will niemandem was unterstellen: Aber ich habe schon den Eindruck, dass sich da einige Leute schlicht verzockt haben. So nach dem Motto: „Da bauen wir, kurz bevor es gefährlich wird, die Impf- und Testzentren ab, um dann mit dem Argument der steigenden Inzidenz auf die Ungeimpften Druck machen zu können. Dann werden die schon spuren. Und bis in den Winter haben wir dann ja noch ein paar Wochen Zeit.“ Und dann hat die Heftigkeit der ganzen Geschichte sie doch überrollt.
- Wenn es wirklich um die Eindämmung der Pandemie geht, warum wird dann nicht konsequent ein 1G-Modell umgesetzt? Sprich: Egal in welchem Bereich und egal ob geimpft, ungeimpft oder genesen – ich muss getestet sein.
- Zur Auslastung der Klinken: Weshalb werden nicht flankierende Maßnahmen ergriffen, um in Zukunft eine ähnliche Situation zu verhindern? Also: Unterstützung wirklich gesundheitsfördernder Maßnahmen. Z.B. ausreichend Bewegung in den Schulen, vernünftiges Essen in allen öffentlichen Bereichen: Schulen, öffentliche Kantinen, Krankenhäuser etc. Ich erinnere mich mit Entsetzen an den unverschämt schlechten Sch…fraß (sorry für die Deutlichkeit), den meine Mutter vorgesetzt bekam, als sie in fortgeschrittenem Alter im Krankenhaus war. Mein Bruder hat das zu Recht als „aktive Sterbehilfe“ bezeichnet.
- Wenn wir heute über Impfpflicht diskutieren, um unnötige Kosten für das System zu vermeiden: Gerne. Dann soll aber auch diskutiert werden, welche Maßnahmen denn in Zukunft ergriffen werden, um die Leute die sich nicht die Bohne um ihre Gesundheit kümmern, zu entsprechendem Verhalten zu „motivieren“?
Meine Vernunft
Stefan Weil hat – sinngemäß – den schönen Satz gesagt: „Es gibt viel Vernünftige und leider auch einige Unvernünftige“. Schön ist der Satz deshalb, weil er mal nicht von Geimpften und Ungeimpften gesprochen hat – was allerdings seine Absicht war. Ich will das Thema Vernunft und Unvernunft hier für mich einmal beschreiben:
Ich tue seit vielen Jahren so ziemlich alles, um der Gesellschaft nicht auf der Tasche zu liegen. Ganz im Gegenteil: Ich tue ziemlich viel, um diese Gesellschaft zu stützen. Und ich nehme zusätzlich für mich in Anspruch mich vernünftig zu verhalten – obwohl ich ungeimpft bin.
Wie komme ich zu der, für einen Ungeimpften geradezu anmaßenden Behauptung?
- Ich zahle ohne zu murren, meine Steuern und Sozialabgaben. Und das sind bei meinem Gehalt keine kleinen Beträge. Das ist aber völlig OK, weil nur so kann eine Gesellschaft funktionieren.
- Ich nehme seit Jahren meine Krankenkasse nicht in Anspruch – und trotzdem steigen die Beiträge Jahr für Jahr um Beträge, die mir Schwindel verursachen. Es muss also irgendwo eine ganze Menge Leute geben, die ihre Krankenkassenbeiträge als Geldanlage betrachten, aus der man bitteschön deutlich mehr entnehmen muss, als man reingezahlt hat.
- Zum Thema Gesundheit: Ich lebe – nach bestem Wissen und Gewissen – gesund, um eben kein Fall für unser Krankheitsverwaltungssystem zu werden.
Ich…- ernähre mich gut (vegan, bio, überwiegend frisch)
- bewege mich viel draußen (Triahlon, Alltagstouren nur zu Fuß / mit dem Rad)
- sehe zu, dass ich ein „gesundes“ Umfeld habe (Partnerschaft, Familie, Beruf)
- habe überhaupt keine Lust, meinen Körper mit irgendwelchen pharmazeutischen Substanzen zu belästigen und vermeide das, wo immer möglich. Aber ja: Ich habe in der Vergangenheit auch schon mal eine Schmerztablette genommen. Davon könnte die Pharmaindustrie allerdings keine Dividenden ausbezahlen.
- Im Zusammenhang mit Corona:
- Siehe oben: Ich tue also schon einiges, um aus dem Kreis der potentiellen Risikopatienten herauszufallen. Ja, ja, ich weiß schon: Auch Gesunde sind gefährdet etc. Aber die – wirklich – gesunden Corona-Intensivpatienten sind sicher nicht der Grund für die Überlastung unseres Krankenhaussystems.
- Ich nehme an keinen Großveranstaltungen teil und vermeide es, in größeren Menschenansammlungen unterwegs zu sein.
- Wenn ich mich beruflich mit anderen Leuten treffe, lasse ich mich vorher testen und fänd es eigentlich toll, wenn die geimpften Solidaritätsfanatiker das auch tun würden. Ich zahle übrigens meine Tests wenn nötig auch selbst. Mein Arbeitgeber kann ja nichts für meine verqueren Ansichten.
- Ansonsten trage ich Maske etc.
- Und was ich ganz nebenbei noch tue: Ich ziehe mit meiner Partnerin eine Pflegetochter groß. Das spart dieser Gesellschaft einige tausend Euro im Monat, wenn man mal zugrunde legt, was wir für unseren Pflegeauftrag bekommen, und was im Vergleich dazu der Platz in einem Kinderheim kosten würde.
Meine Unvernunft (?)
Ich leiste mir das Risiko nicht geimpft zu sein.
Aber da die ganze Geschichte ohnehin ein Spiel mit Wahrscheinlichkeiten ist, kann mir bitte vielleicht jemand ausrechnen, wie groß jetzt die Wahrscheinlichkeit ist, dass ich zum Intensivpatienten werde. Diesen Wahrscheinlichkeitswert gibt es allerdings auch für Geimpfte nicht. Diese Gleichtung hat mittlerweile soviele Variablen, dass sich da keiner rantraut. Noch nicht einmal Dr. Viola Priesemann.
Warum hat aber trotzdem jeder Geimpfte das Recht von sich zu behaupten, dass seine Wahrscheinlichkeit durch die Impfung an Corona zu erkranken kleiner ist, als meine Wahrscheinlichkeit über den Gesundheitsweg?
Fazit
Ich war bislang eigentlich nicht der Typ, der mit seinem tollen Verhalten hausieren geht und sich ständig in aller Öffentlichkeit auf die Schultern klopft. Aber: Ich möchte erstmal sehen, dass der Großteil aller solidarischen Geimpften eine ähnliche Solidaritäts-Performance hinlegt, bevor irgendeiner ankommt und mir erzählt, dass ich mir doch jetzt noch zusätzlich die Impfung setzen lassen soll, nur dass alles wieder so „gut“ wie vorher wird. Was in aller Regel heißt: „Wir wollen weitermachen wie bisher und uns weder um uns, oder andere kümmern müssen. Das sollen doch bitte andere tun.“ Ich gehe auch davon aus, dass nach Corona das Verständnis für unser Pflegepersonal wieder vorbei ist. Einmal klatschen wird ja wohl reichen. Die sollen jetzt bitte mal nicht gleich unverschämt werden und mehr Stellen oder mehr Gehalt fordern. Zum Schluß würde das Geld für meinen nächsten Malletrip nicht reichen.
Wenn ich mit meinem Verhalten – persönlich und der Gesellschaft gegenüber – das untere Ende der Solidarität und Vernunft darstelle (auch im Umgang mit Corona), lasse ich mich impfen. Vorher sollen sich bitte alle Anderen hinten anstellen und die Klappe halten.
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