Veröffentlicht: 27.03.2022
Ich bin Coach und – mittlerweile seit vielen Jahren – Mitarbeiter in Managementpositionen. Auf Basis dieses Erfahrungshintergrundes bin ich – einmal mehr – irritiert vom Management der Pandemie durch unsere Politiker.
Eines meiner größten Verständnisprobleme beim aktuellen Stand des Pandemiemanagments ist die Tatsache, dass – und da spricht jetzt der Coach aus mir – Ausgangspunkt und Ziel offensichtlich nicht klar zu sein scheinen, bzw. im Zuge der teils emotional geführten Diskussionen verloren gegangen sind.
Und die Emotionen führen mich direkt zum zweiten Punkt – und da kommt jetzt der Manager durch: Es sollte sich in Managementkreisen inzwischen herumgesprochen haben, dass die Suche nach Schuldigen keine Probleme löst. Steigerung: Selbst wenn es gelungen ist einen Schuldigen zu finden, hat man damit noch nie das eigentliche Problem gelöst.
Lassen Sie mich noch einmal festhalten:
- Um ein Problem zu lösen ist es zwingend erforderlich ein vernünftiges Ziel zu definieren. Um dieses Ziel zu erreichen, ist eine möglichst präzise Analyse des Ist-Zustandes unbedingt erforderlich. In meiner Arbeit als Coach beschreibe ich mich in diesem Zusammenhang als Navigationssystem. Wenn ich einem Navigationssystem Start und / oder Ziel nicht vorgebe, bekomme ich auch keine Routenvorschläge.
- Um den Ziel-Zustand zu erreichen, muss man sich mit geeigneten Mitteln daran machen, den Weg vom Ist-Zustand zum gewünschten Ziel-Zustand zurück zu legen. Jeder Coach verfügt dabei nicht nur über ein Werkzeug, sondern über einen kompletten – möglichst gut gefüllten – Werkzeugkasten. Um noch einmal die Analogie zum Navigationssystem zu bemühen: Normalerweise bekomme ich mehrere Routen angezeigt und zumeist habe ich auch noch die Möglichkeit zwischen unterschiedlichen Verkehrsmitteln zu wählen. Eben ein Werkzeugkasten, aus dem ich mir das jeweils geeignetste Werkzeug aussuchen kann. Und wenn es auf dem Weg mal zu Abweichungen von der Route kommt, muss ich flexibel genug sein, das Werkzeug zu wechseln, eine andere Route zu wählen oder auch beides.
Übrigens: Diese beiden Tipps sind umsonst. Kein Mensch würde für diese Binsenweisheiten heute auch nur noch einen Cent bezahlen.
Lassen Sie mich jetzt diese Punkte Schritt für Schritt auf das Management der Coronapandemie anwenden.
Ziele
Unabhängig vom aktuellen Stand der Pandemie standen immer folgende zwei Ziele im Vordergrund:
1. Sicherstellung der medizinischen Versorgung auf allen Ebenen
2. „Das Leben“ am Laufen halten ( öffentliches, wirtschaftliches, privates)
Bei einem Coaching wird so etwas gerne auf einem Flipchart notiert. Groß und unübersehbar. Dann gerät es nicht so schnell aus dem Blick. Und das passiert schnell im Eifer der Maßnahmen zur Zielerreichung!
Achten Sie einmal darauf: Es wird häufiger davon gesprochen, dass eine Impfpflicht nötig sein, um eine möglichst hohe Impfquote zu erreichen. Es wird deutlich seltener davon gesprochen „Maßnahmen umzusetzen, die eine Überlastung des medizinischen Systems verhindern“. Natürlich soll damit zum Ausdruck kommen, dass die Impfung das geeignete Werkzeug ist, um genau das zu erreichen. Bzw. es wird explizit gesagt, dass es sogar das einzige Werkzeug ist, um das zu erreichen. Da ist die Anwendung eines Werkzeuges zum Ziel mutiert, ohne dass man sich vergewissert hat, ob es sich überhaupt noch um das richtige Werkzeug handelt, bzw. überhaupt je gehandelt hat. Stichwort „Immunisierungsquote“ (siehe weiter unten).
Ist-Zustand
Der Ist-Zustand ist der tatsächliche Immunisierungsstatus der Bevölkerung – wenn man sich wirklich ganz fokussiert nur auf Corona bezieht und alle anderen Faktoren beiseite lässt. Wenn also Themen wie psychische Erkrankungen, wirtschaftliche Folgen nicht betrachtet, bzw. als separat „irgendwann danach“ zu lösende Probleme hinten anstellt. Inwieweit das moralisch und ethisch vertretbar ist lasse ich außen vor.
Mir ist an der Stelle eine präzise Begrifflichkeit sehr wichtig:
Immunisierungsstatus statt Impfquote!
Die Impfung ist ein Werkzeug zum Erreichen einer Immunisierung – aber eben nur eines von mehreren: Ich kann mich auch mit dem realen Virus infiziert haben – mittlerweile sogar mehrfach – oder aus irgendeinem anderen Grund immmun gegen ein Virus sein. Der Immunisierungsstatus wird dabei immer sehr schlicht mit der Impfquote gleichgesetzt. Das irritiert mich speziell bei Leuten, die ansonsten immer sehr auf Wissenschaftlichkeit bedacht sind.
Der tatsächliche Immunisierungsstatus ist dabei in mehrelei Hinsicht unbekannt: Abgesehen davon, dass schon die Impfquote nicht exakt bekannt ist, weiß kein Mensch mehr, wieviele Personen darüber hinaus ein- oder mehrfach genesen, geimpft und genesen, mehrfach geimpft und mehrfach genesen sind.
Die Frage, die sich daraus ableitet ist übrigens einer der großen Kritikpunkte seitens der Wissenschaft: Warum wissen wir das nicht? Warum ist es auch nach ca. 2 Jahren der Pandemie nicht gelungen, eine soziokulturelle Kohorte zu bilden, die in zeitlich enger Folge getestet wird, um daraus eine realistische Abschätzung der Pandemiesituation (geimpft, genesen, Einfluss von Vorerkrankungen, etc. ) ableiten zu können? Vor dem Hintergrund der gesamten Aufwände im Zusammenhang mit Corona kann das doch wahrlich keine unrealisierbare Aufgabe sein. Jeden Montag bekommen sie von jeder noch so unwichtigen Fernsehsendung detailierte Statistiken über Zuschauerzahlen, Altersgruppen, wieviele zu Ende gesehen oder weggeschaltet haben usw. Bei einer „epidemischen Lage von nationaler Tragweite“ sind wir aber auch nach 2 Jahren noch auf sehr ungenaue Zahlen wie z.B. der Inzidenz angeweisen. Zahlen über Genesene und deren Impfstatus, sowie die Häufigkeit von Infektionen gibt es überhaupt nicht.
Das wären aber schon sehr interessante Informationen, wenn es um die Beurteilung des aktuellen Immunisierungsstatus und die daraus abzuleitenden Maßnahmen geht. V.a. im Hinblick auf die Gefahr der Überlastung des medizinischen Systems.
Die Daten lt. RKI, Stand 25.03.2022:
Anteil grundimmunisierter Personen
Gesamtbevölkerung: 75,9%
über 18-jährige: 85,5%
Anteil mit Auffrischungsimpfung
Gesamtbevölkerung: 58,4%
über 18-jährige: 67,9%
Positive PCR-Tests
seit KW10 / 2020: 18,9 Mio
davon seit KW 01 / 2022: 11,7 Mio
Vor dem Hintergrund dieser Zahlen wird klar, wie wichtig die Frage nach dem Immunisierungsstatus und nicht nach dem Impfstatus ist: Es dürfte kaum noch eine Person in Deutschland geben, die bei den aktuellen Inzidenzen nicht geimpft oder genesen ist. Wie soll das möglich sein, wenn man auch noch zugrunde legt, dass es lt. RKI eine Untererfassung der Impfungen gibt und der reale Wert der Infektionen um ein Vielfaches höher ist als die Anzahl positiver PCR-Tests? Es ist daher auch klar, woher die derzeit niedrigen Impfzahlen kommen: Wenn sich eine ältere, grundimmunisierte Person vor Kurzem auch noch mit dem realen Virus infiziert hat und diese Infektion überstanden hat, wird sie vermutlich nicht zur Auffrischungsimpfung gehen. Dasselbe gilt vermutlich für all diejenigen, die sich aktuell infiziert haben, aber noch nicht geimpft waren. Warum sollte sich eine solche Person jetzt impfen lassen?
Daher erscheint mir die Diskussion über eine Impfplicht schon beinahe surreal, weil sie ein – aus allen Blickwinkeln betrachtet – völlig ungeeignetes Werkzeug ist, um die Ziele des Pandemiemanagements zu erreichen – wenn diese nicht schon erreicht sind. Ich werde auch das Gefühl nicht los, dass das den meisten Beteiligten in der Politik klar ist. Aber man hat sich da in die Position „die Impfpflicht MUSS kommen“ genauso hineingesteigert, wie zuvor in die Position „eine Impflicht wird es NIE geben“. Da würde ich mir von Leuten, die die Verantwortung für gut 80 Mio. Menschen besitzen etwas mehr Lernfähigkeit wünschen. Und von unserem Bundesgesundheitsminister eine Erklärung, wie er vor dem Hintergrund dieser Zahlen zu den abgeleiteten Maßnahmen und der Forderung nach einer Impfpflicht kommt.